Döll auf der Bühne  (Foto: SWR DASDING, IMAGO, imago images / Future Image)

Kommentar

5 Sekunden: Döll ist der ehrlichste Rapper Deutschlands

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AUTOR/IN
Joshua Modler
Josh (Foto: SWR DASDING)

Am Freitag erschien mit „5 Sekunden“ die neue Single von Döll. Und, was soll ich sagen? Ich bin seit Jahren ein richtiger Fanboy und muss dir einfach erklären, warum.

Wer ist Döll?

Döll ist – das kann man schon so sagen – eine tragische Figur. Und gleichzeitig einer der krassesten Rapper, die Deutschrap zu bieten hat. Die Geschichte des tragischen Helden begann 2014 mit seiner ersten Solo-EP "Weit entfernt". Die machte ihn zum Geheimtipp, zum Kritikerliebling, zu dem, über den alle sagen: „Das ist der Nächste!“. Er war ein einfach überdurchschnittlich begabter Rapper, dem man die Liebe zur Sache angemerkt hat. Der zwischen den Zeilen aber auch durchschimmern ließ, dass es da eine spannende Geschichte zu erzählen gibt.

Doch statt Verträge zu unterzeichnen, Vorschüsse zu kassieren oder für Magazincover zu posieren, zog sich Döll weitestgehend aus der Öffentlichkeit zurück. Jahre später erfuhr man auch warum.

Döll und sein Bruder

2017 kam es zu einem ziemlich überraschenden Comeback an der Seite seines großen Bruders Mädness – ebenfalls ein richtig guter Rapper. Mit „Ich und mein Bruder“ machten die beiden ein Kollabo-Album, dem man anhört, dass es raus musste. Das Intro und das Outro des Albums sind für mich mit die besten, die es im Deutschrap jemals gab. Wer hier keine Gänsehaut bekommt, hört nicht richtig zu. Und dieses Video! Achte mal auf sein Gesicht, wenn er rappt! Er bringt so viel Gefühl rüber und man merkt einfach, dass jedes einzelne Wort ernst gemeint ist.

Das Album beschäftigt sich mit schweren Themen wie dem Suizid des Vaters, Suchtproblemen und fühlt sich an wie ein persönlicher Durchbruch für beide. Das einzige Problem: So gut es auch ist, es hat die Erwartungen an und den Druck für das Debütalbum nur erhöht. Und das gab es zu diesem Zeitpunkt, drei Jahre nach „Weit Entfernt“, immer noch nicht.

Dölls Leben ist geprägt von Suchtproblemen

Gute vier Jahre nach der EP war es dann soweit. Mit „Für den Fall“ kam die erste Single und das Intro von Dölls Debütalbum „Nie oder jetzt“. Und damit auch ein Schock: Döll redete dort zum ersten Mal öffentlich über seine Spielsucht.

Ich würd' untertreiben, wenn ich sag ich kam nicht klar, Dicka / Spielsucht fühlt sich an wie die Sucht nach 'nem Opiat, Dicka / Ich gewann 30K, Dicka, verlor 10 an 'nem Tag, Dicka / Das hier ist das Realste, was ich schrieb, seit mei'm Start, Dicka

Bei den Liveshows zu „Nie oder jetzt“ nimmt er sich auch immer die Zeit, die Show kurz zu unterbrechen und die Leute zu ermutigen, dass sie sich Hilfe suchen sollen, wenn sie unter ähnlichen Problemen leiden. Gegenüber ze.tt öffnete er sich auch in einem Interview zu dem Thema:

Das Thema ist für mich nicht abgeschlossen und wird es auch nicht sein, solange ich lebe.

Dölls Musik ist extrem ehrlich und privat

Generell – und das macht das Album und Döll an sich auch so großartig – ist die Musik oft schwer zu verdauen. Viele Musiker*innen machen „deepe“ Songs, indem sie „deepe“ Themen thematisieren. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass sie wirklich etwas von sich preisgeben. Sicher denken sie beim Schreiben an konkrete Situationen aus ihrem Leben und verbinden den Song damit, aber nur wenige geben auch wirklich Privates preis. Stattdessen finden sie schöne Zeilen, die das Gefühl gut beschreiben und die die Hörer*innen auf sich selbst projizieren können. Näher thematisiert habe ich das Ganze mal in einem Text über Kontra K.

Bei Döll ist das anders. Er spuckt dir seinen Schmerz einfach ins Gesicht – ungeschönt und frei von irgendwelchen Verallgemeinerungen, die es vielleicht zugänglicher machen würden. Das ist seine Musik und da geht es um ihn. Und das ist auch das, was ich hören will. Aufbauende Sprüche ausdenken kann ich mir selbst.

Dölls neuer Song „5 Sekunden“

Auch sein neuer Song „5 Sekunden“ lässt mich erstmal schlucken. Vier Zeilen drin und schon geht’s um den Selbstmord seines Vaters und darum, dass er es ihm fast gleich getan hätte.

Seine Vortragsweise ist dabei so fesselnd, dass ich unmöglich weghören kann. Der zweite Part thematisiert wieder die Spielsucht:

Hab' mich dabei mehrfach ruiniert, wurde therapeutisch betreut / Sitze in meinem ersten Termin, während meine Live-Wette noch läuft / Denk' nichts als an den Cash-Out, als wir grad meine Kindheit besprechen / Doch ich hör' nicht mit dem Dreck auf, fühl' mich so, als bin ich besessen.

Die Hook und die ganze Stimmung des Songs zeigen aber: Döll hat gewonnen. Das ist keine Beschreibung der Gegenwart in Echtzeit, sondern Vergangenheitsbewältigung. Noch einmal mit allem, was in ihm steckt, herausschreien, was für eine Scheiße er durchgemacht hat, damit abschließen und endlich durchatmen:

Mann, ich hab' zehn Jahre geblutet, gönn' mir fünf Sekunden Flex

Ich gönn’s ihm. Und noch viel mehr. Sein Debütalbum war eines der besten Alben 2019, „5 Sekunden“ ist für mich einer der besten Deutschrap-Songs des Jahres, mindestens in meiner Top Drei. Seit Jahren ist seine Musik ein konstanter Bestandteil in meinem Leben und es gibt mehrere Songs in seiner Diskografie, die mir wirklich sehr viel bedeuten. Döll ist vielleicht nicht der erfolgreichste Rapper des Landes, aber höchstwahrscheinlich der ehrlichste. Und wenn es nach mir geht, auch einer der besten.

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