Wie ist das eigentlich, mit dem Fetalen Alkoholsyndrom zu leben? Philipp weiß es aus eigener Erfahrung. Er ist ein lässiger Typ, weißes Hemd, helle Hose, breites Lächeln im Gesicht. So öffnet er die Tür zu seiner ehemaligen Wohngruppe.
Auf den ersten Blick merkt man ihm nicht an, dass er das Fetale Alkoholsyndrom, kurz FASD, und damit eine geistige und körperliche Beeinträchtigung hat. Früher habe ihn das oft gestört, erzählt er.
FASD ist von Außen nicht immer erkennbar
"Wenn jemand im Rollstuhl sitzt, dann verstehen die Menschen sofort, warum die Person vielleicht hier und da Hilfe bei etwas braucht."
Bei ihm ist das eben nicht so. "Die Leute erkennen das nicht und verstehen dann auch nicht, warum etwas für mich nicht so funktioniert wie für andere."
Deshalb hat Philipp früher oft Sätze zu hören bekommen wie: "Stell dich nicht so an!" Bis zu seiner Diagnose im Alter von zehn Jahren hat Philipp keine Ahnung, was mit ihm nicht stimmt.

Er weiß nur, dass er vermeidbare Fehler macht und das immer und immer wieder. Er ist frustriert und fühlt sich einfach nur unverstanden. Dabei ist er nicht allein: Rund 10.000 Kinder werden jedes Jahr mit FASD geboren, sagt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
Neues zu lernen fällt Philipp schwer
Mit FASD zu leben heißt auch, dass es ihm schwerer fällt als anderen, Neues zu lernen. "Ich lerne durch Wiederholungen", erklärt er. Es sind die alltäglichen Dinge, die ihm früher besonders zu schaffen gemacht haben: Duschen, Anziehen, im Haushalt helfen. Alles Dinge, die für die meisten von uns ganz selbstverständlich sind.
Auch Routine hilft Philipp in seinem Alltag, sie gibt ihm Stabilität. Das macht es aber manchmal schwer, Freunde zu finden. "Ganz einfaches Beispiel", erzählt Philipp. "Nach dem Fußballtraining sind wir in der Kabine und ein Mitspieler sagt, wir gehen noch zu Tobi. Kommst du mit?"
Für Philipp ist das viel zu spontan, es wirft ihn aus der Bahn. "Dann muss ich absagen. Beim zweiten und dritten Mal fragen die Kumpels mich dann vielleicht noch, ob ich mitkommen will. Aber beim vierten Mal schon nicht mehr."
Philipp wächst in einer Wohngruppe auf
Zum Glück hat Philipp ein paar treue Freunde gefunden, die seine Beeinträchtigung sehr gut kennen und darauf Rücksicht nehmen. Dass Philipp überhaupt so sicher auf eigenen Beinen steht, liegt an der Wohngruppe, in der er seit seinem siebten Lebensjahr aufgewachsen ist.
Dort hat man sich gefragt, was mit ihm los ist. Die Betreuerinnen haben jahrelang recherchiert, bis eine Fachklinik die Diagnose Fetales Alkoholsyndrom gestellt hat.

Seitdem ging es für Philipp nur bergauf. Inzwischen lebt er in einem Apartment neben der Wohngruppe und hat einen Job im Hausmeisterservice eines Seniorenheims. Allerdings kann er aufgrund der körperlichen Beeinträchtigungen durch das FASD nur vier Stunden täglich arbeiten. Das Seniorenheim war bereit, da auf ihn zuzugehen. Die Alternative wäre sonst ein Job in einer Behindertenwerkstatt gewesen.
Kein Kontakt zur leiblichen Mutter
Zu seiner leiblichen Familie hat Philipp keinen Kontakt mehr.
"Früher habe ich mir oft gewünscht, dass meine Mutter auch mal so krank ist, wie ich. Damit sie weiß, wie das ist."
Denn FASD hat er nur, weil seine Mutter während der Schwangerschaft Alkohol getrunken hat. Inzwischen hat er aber gelernt, loszulassen. "Das hat mich einfach nur runtergezogen und wütend gemacht. Und so wollte ich nicht durchs Leben gehen."
Stattdessen setzt Philipp sich neue Ziele. Weil er keinen Führerschein machen darf, hat er sich einen Rasenmähertraktor gekauft. Mit dem cruist er jetzt auf den Wiesen bei der Wohngruppe herum. Er will außerdem schon bald in seine eigene Wohnung ziehen, die dann auch nicht mehr auf dem Gelände der Wohngruppe ist.

Und was ihm besonders wichtig ist: Er will sich dafür einsetzen, dass mehr Menschen über FASD Bescheid wissen. "Vielleicht brauchen wir ein bisschen mehr Hilfe als andere, aber niemand geht jemals ganz ohne Unterstützung durchs Leben", meint Philipp. "Ich will anderen Menschen mit FASD Mut machen und ihnen zeigen, dass man es trotzdem schaffen kann."